Trauma und seine Folgen

Der Hauptgrund, der mich bewogen hat den Weg nach Königswinter auf mich zu nehmen, um an den drei Abenden zum Thema „Trauma und seine Folgen“ teilzunehmen war: Ich wollte meinen eigenen Weg, den ich in den vergangenen Jahren in der Seelsorge gegangen bin, besser verstehen. Ich wollte etwas lernen über Menschen, die an Trauma-Folgeerscheinungen leiden.

Am ersten Abend faszinierten mich vor allem die Ausführungen über die Funktionsweise unseres Gehirns. Es ist genial, wie die verschiedenen Zonen im Gehirn: Thalamus, Amygdala, Hippocampus ihre spezifischen Aufgaben haben und einander zuarbeiten, um die emotionalen Erfahrungen, die wir machen, einzuordnen. Aber auch: wie dieses System empfindlich gestört werden kann, wenn bedrohliche Situationen dazu führen, dass ein Mensch diese nicht bewältigen kann. Dann spielt die Amygdala „verrückt“. Gedanken und Gefühle drehen hohl. Das Erlebte kann nicht eingeordnet werden. Ich komme mir vor wie in einem Schiff in höchster Seenot, das nicht mehr steuerbar ist.

Konkreter wurde das am zweiten Abend. Zu manchem, was Hans ausführte, dachte ich: Das kenne ich. So muss es angefangen haben und das waren meine Versuche zu überleben. Ich zitiere sinngemäß: Eine traumatische Situation ist eine Situation, auf die keine subjektiv angemessene Reaktion möglich ist. Ich fühle mich hilflos. Es ist eine Grenzsituation, die zur Erschütterung des Selbst- und Weltverständnisses führt. Vertrauen wird infrage gestellt. Was ich hier erlebe wird zur exemplarischen Situation, die zum Modell für weitere Erfahrungen wird.

Die ersten Monate meines Lebens waren sehr schwer. Sie waren ein Kampf zu überleben. Ich muss mich sehr alleingelassen, überfordert, hilflos, …, gefühlt haben. Das waren jedenfalls die Gefühle, mit denen ich mich viele Jahre auseinandersetzen musste. Wurden die alten Gefühle durch irgendeine kleine, für andere Menschen ganz unbedeutende  Erfahrung, getriggert, stellte sich das ein, was Hans am ersten Abend erklärt hatte: die Gedanken und Gefühle drehten durch – die Amygdala war überfordert – es wurde die alte Erfahrung abgerufen und die neue Erfahrung konnte nicht angemessen bewertet werden. Ich verstummte, ich zog mich zurück, ich erstarrte innerlich oder wurde aggressiv. Heute weiß ich: Das Kleinkind von damals reagierte. Es waren an dem Abend immer wieder einzelne Sätze, die erklärten, was in mir abgelaufen ist – dass meine Reaktionen aus der Verletzung entstanden waren. Es waren Sätze, die mir halfen mich und meinen Weg zu verstehen.

Am dritten Abend ging es darum, wie Menschen mit Trauma-Folgestörungen geholfen werden kann.

Wichtig für mich war (neben vielen anderen Impulsen) eine Erkenntnis: Es ist nicht unbedingt erforderlich, dass das Trauma aufgedeckt wird. Wichtig ist, dass ich meine  Ressourcen entdecke und damit lebe. Durch Stabilisierung dessen, was ich an Möglichkeiten zu leben habe, kann ich lernen mein Leben gut zu gestalten. Hans gebrauchte ein Bild dafür: Der Atomreaktor in Tschernobyl konnte nicht abgebaut werden. Die Gefahr, dass er explodiert und dadurch noch mehr Schaden angerichtet hätte, war zu groß. So wurde der Reaktor eingemauert. Dadurch ist die Bevölkerung vor neuer Strahlung geschützt.

Dies zu hören war entlastend für mich. Es muss nicht noch die große Enthüllung eines bestimmten Ereignisses kommen, das mein Leben blockiert hat, um heiler leben zu können. Ich kann mit dem, was ich an Möglichkeiten in mir entdeckt habe, gut leben.

Die Abende waren auch eine große Bereicherung für meine Arbeit – die Begleitung von Menschen in der Seelsorge. Am letzten Abend sagte ich spontan: Wenn ich all das schon vor ein paar Jahren gewusst hätte, wäre manche Begleitung anders verlaufen. Die Abende halfen mir einerseits Menschen mit Trauma-Folgeerscheinungen besser zu verstehen, sie waren aber auch entlastend für mich: Manche Schwierigkeiten in der Begleitung waren Ausdruck der Not des Hilfesuchenden und nicht meine Schuld.

Sehr hilfreich für mich war auch nochmals zu hören, welche Dynamik in Übertragung und Gegenübertragung in der Begleitung liegt. Dass Übertragungen in der Begleitung hilfreich sind, das wusste ich. Wie Gegenübertragungen für den Heilungs-Prozess hilfreich genutzt werden können, das wurde mir durch die Ausführungen von Hans deutlich.

Manches von dem, was ich hörte, bestätigte mich auch darin, wie ich mit Menschen unterwegs bin. Das war auch gut wahrzunehmen.

Ich bin sehr dankbar für die Seminarabende. Ich habe viel gelernt und bin motiviert für meine Arbeit nach Hause gefahren.

Was mich verblüfft hat: Ich hatte etwas Sorge, ob ich die zwei Stunden am Abend aufnahmefähig genug sein würde. Es war kein Problem. Es war so spannend, dass ich immer überrascht war, dass die zwei Stunden schon vorüber waren!

Christiane