Intensivseelsorgewoche

Das Leben gewinnen – zur Ruhe kommen

Mit einem Freund sitze ich nach unserem wöchentlichen Sporttermin noch gemütlich zusammen. Wir reden über Gott und die Welt (nun ja, über Gott rede ich eigentlich mehr als er), und ich erzähle ihm, dass ich auf einer Seelsorgewoche war. Er korrigiert mich wohlwollend: „Du meinst, du hast dich in punkto Seelsorge fortbilden lassen.“ Ich: „Nein, nein, ich war selbst eine Woche in der Seelsorge.“- Ungläubiges Staunen und betretenes Schweigen seinerseits… „Du?!“

Offenbar ist es in unserer Gesellschaft in weiten Kreisen immer noch peinlich, Seelsorge in Anspruch zu nehmen. Das hat so einen negativen Touch, da gehen doch nur diejenigen hin, die nicht mehr weiter wissen, die Hilfe benötigen, die möglicherweise gar gescheitert sind, das ist so etwas wie das fromme Pendant zur Couch eines Psychiaters, sozusagen eine religiöse Selbsthilfegruppe…

Die Seelsorgewoche im Haus Maranata war doch erfrischend anders als diese Klischees. Hier kommen in der Tat Menschen zusammen, die in manchen Bereichen ihres Lebens alleine nicht mehr weiter wissen, bedingt durch ganz verschiedene Umstände. Aber es herrscht schnell eine Atmosphäre des Vertrauens und der Offenheit. Liegt es daran, dass sich hier die „geistlich Armen“ finden, also Menschen, die wissen, dass sie Gott nichts vorweisen können (und müssen) und von daher ganz aus seiner Abhängigkeit leben dürfen? Und die deshalb das beliebte Spiel mit der schön polierten Fassade vor Gott und den anderen Menschen nicht mehr mitspielen wollen?

Mir haben in dieser Woche die Zeiten der Stille und des Gebets genauso wie verschiedene Einzel- und Gruppengespräche gut getan, mich selber (das unbekannte Wesen) besser kennen zu lernen. Enorm hilfreich waren die Möglichkeiten und Hilfestellungen, die eigene komplexe Geschichte besser zu verstehen, manch falsche Vorstellungen und Lebenslügen endlich zu entlarven, krankmachende geistliche Zerrbilder zu hinterfragen und die eigene Beziehung zu Gott zu erneuern. Dazu kam die Erkenntnis, dass manch andere ganz ähnlich „ticken“ wie ich und ich von daher selber gar nicht so ein „pathologischer Fall“ bin wie ich mir manchmal einrede…

„Woraus beziehe ich meinen Wert? – Warum kann ich so schlecht ‚nein‘ sagen? – Warum möchte ich andere so gerne kontrollieren? – Welches Bild habe ich von Gott? – Welche negativen gesundheitlichen Folgen hat(te) das für mich?“ sind beispielsweise Fragen, denen nachzugehen es sich lohnt. Für mich hat die Beschäftigung und der ehrliche Austausch darüber überraschende Zusammenhänge in meinem Leben zu Tage gefördert und mich in einigen Punkten auf die richtige Spur gesetzt.

Fazit: Wer hier nicht die magische, ultimative und sofortige Lösung seiner Lebensprobleme erwartet, sondern selber bereit ist, mit Gottes Hilfe Schritte auf dem Weg der Erneuerung zu gehen und hier zu investieren, dem ist eine solche Woche sehr anzuraten. Die Bereitschaft, sich auf einen – manchmal schmerzhaften – Prozess einzulassen, der nach dieser Woche noch lange nicht zu Ende ist, muss dabei vorausgesetzt werden. Aber es lohnt sich.
Michael

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