Vertrauen in der Krise – Gott meint es gut mit dir.
In der Neujahrsnacht ziehen Claudia und ich immer unsere persönliche Jahreslosung. Mein Vers für 2020 lautet: Der Herr ist mein Licht und mein Heil, vor wem sollte ich mich fürchten? Der Herr ist meines Lebens Kraft; vor wem sollte mir grauen? (Ps 27,1)
Mir fielen sofort einige Situationen in meinem Leben ein, in denen ich Gott so erlebte und ich empfand meine Jahreslosung als tolle Ermutigung von ihm. Als ich dann Mitte März die Krebsdiagnose bekam, war ich ziemlich am Boden und viele ‚Warum-Fragen‘ kamen in mir auf. Ich fragte mich auch, was ich jetzt mit diesem Psalm-Wort anfangen kann. Zum Glück erinnerte ich mich wieder an wichtige Situationen in meinem Leben, wo ich Gottes Schutz und Bewahrung stark erlebt habe: Bei einen schweren Autounfall, wo ich völlig unverletzt blieb, bei einem Sturz aus 12 m Höhe in der Scheune, wo mir nur die Luft kurz weg blieb, als ich auf einem Strohballen landete oder die gelungene OP einer Geschwulst um den Trigeminus-Nerv in meiner Wange. Der Gott, der sich in diesen Situationen um meine Heil und mein Leben gekümmert hat, der wird es auch jetzt tun. Darauf wollte ich vertrauen, das hat mir Hoffnung und Kraft gegeben.
‚Meine Seele ist stille zu Gott, der mir hilft‘ (Ps 62,2) lautet meine persönliche Jahreslosung für 2020. Dass Gott mir hilft, hat mich ermutigt und gefreut. Allerdings hatte ich im Hinblick auf dieses Psalm-Wort gerade in Kombination mit der Jahreslosung ‚Ich glaube; hilf meinem Unglauben‘ (Mk 9,24), die mich ungewöhnlich stark angesprochen hat, ein mulmiges Gefühl. Was wird dieses Jahr Schwieriges bringen? Dieses mulmige Gefühl erklärt sich daraus, dass ich mit der Idee aufgewachsen bin, dass Zweckpessimismus eine hilfreiche Strategie zur Lebensbewältigung sei: Schlimmstes befürchten, um am Ende, wenn es nicht so eintritt, doch noch erleichtert zu sein. So sah ich mich in meinen Befürchtungen vom Jahresbeginn bestätigt, als Hans im März die Krebsdiagnose bekam. In meiner/unserer Not fragte ich mich, wie die von Gott zugesagte Hilfe aussehen könnte und wie er ‚meinem Unglauben helfen‘ könnte. Da blieb sehr viel Raum für Angst und konkrete Befürchtungen.
Krebs ist für mich schon ein bedrohliches Thema. Meine erste Frau kämpfte über 5 Jahre gegen Krebs und ist doch daran gestorben. All das kam direkt in mir hoch, als ich meine Diagnose bekam. Damit auseinandersetzen wollte ich mich jedoch nicht. Das war mir viel zu viel. So war ich auch gar nicht unglücklich, dass die Termine für die nötigen Voruntersuchungen erst ein paar Wochen später sein sollten.
Für mich war das unvorstellbar, wochenlang auf Untersuchungen, Ergebnisse und eine OP zu warten, die Gott Hans in einem Eindruck bereits angekündigt hatte. Sofort war mir klar, dass alles viel schneller gehen sollte. Und Gott hat ganz schnell die Türen geöffnet: Auf einmal war die erste wichtige Untersuchung bereits am nächsten Tag möglich und so ging es weiter, sodass der OP-Termin letzten Endes noch vor dem ersten geplanten Untersuchungstermin lag. Dieses wunderbare und überraschende Tempo empfand ich für uns beide gut: Für Hans fing der Weg zur Genesung viel früher an; mir hat es einfach sehr gut getan aktiv werden zu können und so aus der Lähmung durch meine Angst heraus zu kommen.
Wahrscheinlich haben wir alle die Tendenz, unangenehme und angstbesetzte Dinge wegzuschieben und zu verleugnen. Das bringt für den Augenblick eine gewisse emotionale Entlastung. Das Problem bleibt jedoch ungelöst. Wir unterschätzen, wie viel emotionale Kraft wir für das Nicht-wahrhaben-wollen brauchen. Und die fehlt uns dann bei der Bewältigung des Problems, das in der Zwischenzeit möglicherweise noch größer oder schlimmer geworden ist. Verdrängen, Verleugnen und Aufschieben führt nie zu einer Lösung.
Eine passive Haltung löst in uns das Gefühl von Hilflosigkeit und immer stärkerer Angst aus. Schnell erleben wir uns als Opfer unserer Umstände.
Ob wir unsere Situation aktiv verändern wollen oder denken, dass wir daran nichts ändern können, hängt von unserem Selbstwertgefühl ab. Um aus dem Opfergefühl heraus zu kommen, ist es wichtig, dass wir unsere Möglichkeiten einsetzen und gleichzeitig nicht von uns erwarten, ein perfektes Ergebnis zu erreichen.
Nach meinen Erfahrungen aus der Seelsorge weiß ich, dass wir viel mehr Bewältigungskompetenzen haben, als wir meinen. Nicht umsonst sagt Gott zu Josua vor der Landeinnahme: Sei stark und mutig. (Jos 1,6). Er erinnert ihn an seine Kraft.
Zweifellos gibt es Umstände in unserem Leben, wo wir wirklich nichts verändern können.
Der OP-Tag war für mich solch eine Situation; immer und immer wieder mussten wir im Laufe der Zeit auf entscheidende Untersuchungs-, Behandlungs- oder Laborergebnisse warten. Es galt eine ungeheure Spannung auszuhalten. Gebet und Lobpreis – sofern das überhaupt möglich war – haben meine hilflose Not auch nicht gleich gelindert.
Häufig konnte ich vor Gott nur weinen und klagen. Vor lauter Kummer habe ich dann keinen Bissen heruntergebracht. Alleine hätte ich mich immer weiter darin vergraben. Doch Gott kennt mich wirklich gut und er hilft mir: Mit frischem, selbst gebackenem Brot, das spät am Abend überraschend vor unserer Tür lag, hat er mich wieder zum Essen gebracht und in jeder Hinsicht gestärkt.
Im Blick auf meine OP habe ich Gottes Zuwendung schon im voraus erlebt. Er hat mir, wie Claudia schon angedeutet hat, beim Beten deutlich gezeigt, dass ich mich einer Operation unterziehen muss. Das hat mich vor dem Eingriff ruhig und sicher gemacht.
Bald nach der erfolgreichen OP traten Probleme mit den Lymphflüssigkeit auf, die zu meinem Erschrecken einen zweiten Eingriff notwendig machten. Ich fühlte mich von Gott im Stich gelassen. Irgendwann fiel mir meine Jahreslosung wieder ein, an der ich mich mühsam aus meinem Frust hocharbeiten konnte. Doch diesmal hatte ich vor der OP bei Weitem nicht die Ruhe und Sicherheit.
Rückblickend kann ich sehen, dass das Erschrecken dazu geführt hat, dass ich die Liebe und Fürsorge Gottes, die er mir schon am Anfang des Jahres zugesprochen hat, nicht mehr so gut wahrnehmen konnte. Emotionaler Stress macht es uns meistes schwer, daran zu glauben, dass Gott für uns ist. Gut ist es dann, wenn wir Menschen haben, die uns daran erinnern.
Gott hat mich immer wieder – teilweise auch ganz überraschend – durch Menschen aus dem größten Kummer herausgezogen.
So war es für mich total hilfreich, dass ich mich mit zwei Frauen austauschen konnte, die Krebs bereits in ihrer Familie durchlebt hatten. Bei einer der beiden Frauen war das der erste Kontakt seit fast 10 Jahren. Auch in der Schule bin ich, als ich Mühe hatte manche Aufgaben wahrzunehmen, vielfältig praktisch unterstützt worden. Ich erinnere mich beispielsweise auch an ein sehr hilfreiches und wohltuendes Telefonat in der Zeit, als die Notwendigkeit einer zweiten OP klar wurde. Ein Anruf hat mich in der so notvollen Situation überrascht, obwohl ich sogar vorher Gott um seine Hilfe angefleht hatte.
All das, was durch den Corona Lock-Down mühsam oder unmöglich wurde, wurde mir durch meine Töchter, den Schwiegersohn und die Enkelkinder in dieser Zeit zum Segen: Hier in unserem Garten war das pulsierende Leben, weil dort (und teilweise nur dort) Gemeinschaft unter Einhaltung der Abstandsregeln möglich war. So hatte z.B. unsere Enkelinder immer wieder neue, passende Spielideen, die mich aktivieren und von meinem Kummer und meinen Sorgen ablenken konnten. In diesen, fast täglichen, Gartenzeiten fühlte ich mich aufgefangen und getragen. Das war wohltuend und wichtig, um durch diese Krisenzeit zu kommen.
Wenn ich heute auf die lange und auch krisenhafte Zeit meiner intensiven Behandlung zurückschaue, kann ich nur dankbar feststellen, dass ich im Krankenhaus, in der Reha und bei der Strahlentherapie medizinisch und pflegerisch wirklich kompetent und ausgezeichnet betreut wurde. Alle diese Menschen waren freundlich und anteilnehmend. Ich habe mich überall gut aufgehoben gefühlt. Ob das alles Engel waren, die mir Gott als Diener geschickt hat, weiß ich nicht. Durch sie habe ich aber die Fürsorge Gottes sehr wohltuend und ganz praktisch erlebt.
Wegen Corona konnte ich die ganze Zeit von Claudia nicht besucht werden. Das war sehr hart. Deshalb waren es ganz besonders kostbare Momente, als das Krankenhauspersonal mir erlaubte, Claudia am Eingang für ein paar Minuten mit 2 m Abstand zu treffen.
Dankbar bin ich, dass ich während der Reha mit Claudia und Freunden per Internet reden und sie dabei sehen konnte. Mehrfach haben wir sogar im Familienverbund im virtuellen Raum miteinander das Abendmahl gefeiert. Das alles tat ungeheuer gut.
Während der ganzen Zeit haben wir uns von einem großen Beterkreis getragen und ermutigt gefühlt. Wir wussten, dass diese Menschen mit uns vor Gott stehen und uns auch in den Thronsaal tragen, wenn wir es selbst nicht geschafft haben.
Beim Schreiben der Informationen für den treuen Beterkreis habe ich Gottes Liebe besonders erleben dürfen. Es hat mir geholfen, die Entwicklung – so krisenhaft sie auch in Zwischenzeiten verlief – in Worte zu fassen. Nur so konnte ich wahrnehmen, wieviel Gnade Gott schenkt, wie er die Heilung von Hans ganz allmählich, schrittweise weiter führte. Das hat mir auch in den ganz schwierigen Phasen zu Dankbarkeit verholfen, indem ich mir bewusst gemacht habe, was es denn für die Beter Gutes zu berichten gibt. Zudem war es auch hierbei gut, eine Aufgabe übernehmen zu können. Das hat mich sehr ermutigt.
Durch das Schreiben der Info-Mails haben mich die Psalmen wieder erreicht und zwar in vertonter Form. Gott weiß einfach ganz genau, wie er mich in der Krise ansprechen kann. Das Anhören einer besonderen CD, die uns einer der Beter – selbst mit leidvoller Krebserfahrung – geschenkt hat, war wie Balsam für meine aufgewühlte Seele. Vor allem die Psalmen 121, 46 und 91 habe ich immer und immer wieder gehört. Gottes Zusagen und seinen Schutz habe ich besonders in Psalm 23, meinem Tauf- und Konfirmationspsalm, erfahren. Dadurch angeregt habe ich immer mehr Psalmvertonungen gefunden und auch in die Mails eingefügt. Überrascht war ich beim Stöbern, dass auch David seine Not in den Psalmen mit sehr drastischen Worten geklagt hat. Dadurch habe ich mich verstanden und getröstet gefühlt. Und nicht zuletzt waren und sind die Psalmen voller Lob und Freude meine Begleiter in dieser Zeit geworden.
Es ist enorm hilfreich, Not so konkret wie möglich in Worte zu fassen und auszuklagen. Durch das schriftliche Ausformulieren kommen unser Empfindungen und Gedanken verstärkt in unser Bewusstsein. Das hilft uns bei der Entscheidung, wie wir damit umgehen wollen und so werden wir handlungsfähiger.
Mein Heilungsprozess war mit einigen heftigen krisenhaften Situationen verbunden, obwohl aus dem Beterkreis ganz früh der Eindruck kam, dass meine Krankheit zur Verherrlichung Gottes dienen sollte (Joh 11,4).
Bald nach der OP, die im Blick auf den Krebs sehr erfolgreich verlief, traten große Problem mit der Lymphflüssigkeit auf und ich bekam zwei Mal hohes Fieber. Meine Reha trat ich auf der Krankenstation an, weil ich wegen eines Infektes wieder hohes Fieber hatte. Und dann ging der gewünschte Wiederherstellungsprozess in der Reha lange Zeit überhaupt nicht voran.
Einen heftiger Schock erlebten wir zu Beginn der Strahlentherapie. Auf Grund der überaus guten Krebswerte ging ich davon aus, dass ich nur noch wenige Bestrahlungen bekommen würde. Doch dem war absolut nicht so. Ich musste das volle Programm über fast 8 Wochen durchlaufen.
Ich habe mir von Gott so sehr gewünscht, dass alles schnell und leicht verläuft. Er hätte mich gerne als ‚Heilungswunder‘ benutzen dürfen. Doch er hat uns einen langen und anstrengenden Weg zugemutet. Immer wieder musste ich mich dafür entscheiden, Gott zu vertrauen, egal wie viel Zeit meine Heilung braucht und mit welchen Schwierigkeiten sie verbunden ist. Manchmal habe ich mit ihm gehadert und gestritten. Aber ich wollte mir meine Beziehung zu ihm nicht verscherzen. Dafür musste ich mir immer wieder vor Augen halten, was er schon getan hat.
Auch ich habe insbesondere während der Krankenhaus- und Reha-Zeit auf das Heilungswunder gewartet, das die anstrengende Wegstrecke für uns verkürzen würde. Der Gedanke, dass Gott ja ganz einfach eingreifen kann, um uns zumindest einen Teil der Anstrengung und Not zu ersparen, hat sich vor allem zu Beginn nachteilig auf meine Bereitschaft ausgewirkt, mich anzustrengen ohne zu wissen ob und wann ein Ende kommt. Das hat es für mich, trotz aller Heilungszusagen, noch mühsamer gemacht. Erst ganz allmählich hat sich diese innere Haltung verändert. Meine Klagen hat Gott zweimal mit einem Traum beantwortet. Im Traum hat er mir gezeigt, dass ich aus einer aussichtslos schwierigen Situation herauskomme, dadurch dass sich die Umstände ohne mein Zutun verändern, während ich nicht aufgebe. Mir wurden dadurch völlig überraschende Handlungs- und Gestaltungsmöglichkeiten eröffnet.
So wuchs mein Vertrauen, dass ich doch mit der Krise umgehen kann. Ganz häufig wurde ich auch unvermutet durch Menschen auf sehr unterschiedliche Art dazu ermutigt, die Anstrengung des Weges auf mich zu nehmen.
Von der Psychologie wissen wir, dass Menschen, die ein Ja dazu haben sich anzustrengen und durchzuhalten, mit ihrem Leben viel zufriedener sind und eine höhere Belastungsfähigkeit haben. Unsere Psyche wird, wie unsere Muskeln, dadurch stärker, dass sie gefordert wird. Das wurde mir neu bewusst, als mir eine Beterin schrieb, wie wunderbar es doch ist, dass uns Gott eine Last auferlegt aber uns auch hilft. Gott will uns befähigen, zu Überwindern zu werden.
Das Ziel meiner Reha war, den Schließmuskel der Harnröhre, der durch die Irritationen bei der OP seine Arbeit eingestellt hat, wieder zu aktivieren. Diesen hemdenknopfgroßen Muskel, der schon in unserer Kindheit so eine große Rolle spielt, spüren wir überhaupt nicht und können ihn auch nicht durch Anstrengung trainieren. Nur durch die gedankliche, bildhafte Vorstellung – die Imagination – sollten die Nerven, die für diesen kleinen Muskel zuständig sind, ihm den Auftrag erteilen, sich zu öffnen oder zu schließen. Ich hatte die Aufgabe, drei mal täglich dieses Gedankentraining für einige Minuten durchführen, ohne mir dabei Druck zu machen und Muskel anzuspannen. Lange Zeit passierte nichts. Es gab schon wieder keine andere Möglichkeit als zu vertrauen oder zu resignieren. Mein anfänglich kühnes Beten wurde sehr mut- und hoffnungslos. Um so beeindruckender war es dann, als ich kurz vor Ende des Aufenthaltes in der Reha-Klinik feststellte, dass der Schließmuskel wieder seine Aufgabe wahrnahm – erst in der Nacht, dann am Vormittag, hinein in den Nachmittag und dann am Abend. Innerhalb von drei Tagen habe ich das Wunder einer Wiederherstellung erlebt.
Der Prozess der Imagination erinnert mich daran, wie der Schreiber des Hebräerbriefes den Glauben beschreibt: ‚Es ist aber der Glaube ein zuversichtliches Vertrauen auf das, was man hofft, ein festes Überzeugtsein von Dingen, die man nicht sieht.‘ (Heb 11,1) Indem wir uns gedanklich intensiv mit dem beschäftigen was wir hoffen und nicht sehen, also mit dem, was wir glauben wollen, kommt es in unserem Gehirn zu neuen neuronalen Verknüpfungen, die unser Denken verändern. Der Glaube setzt sich gegen unsere Prägungsmuster durch.
Auch bei mir hat in die Krise immer wieder altes – vermeintlich bewährtes – Denken die Oberhand gewonnen. Gerade in der Not laufen diese lange eingeübten Denkmuster quasi automatisch ab. Aus meiner Lebenserfahrung mit Menschen waren Fragen wie: Was habe ich falsch gemacht? Was hätten wir anders oder besser machen sollen? … einfach nahe liegend. Mal ganz davon abgesehen, dass weder solche aus der Not gestellten Fragen, noch die von mir dazu erfundenen möglichen Antworten hilfreich waren, kann ich heute sagen, dass sie von einem falschen Gottesbild ausgehen. Gott ist anders: Immer mehr entdeckte ich, dass er mich nicht wegen irgendwelcher Fehler ‚bestraft‘ oder mich die daraus folgenden Konsequenzen erleiden lässt. Trotz all der Schwierigkeiten und in all diesen Schwierigkeiten will er Gutes für mich.
Gott macht sein Handeln nicht von meinem Handeln abhängig, ganz egal wie richtig oder falsch es ist. Er ist souverän und immer für mich.
In meinen Krisenzeiten, insbesondere wenn ich nachts nicht schlafen konnte, habe ich meine Not Gott geklagt, gebettelt, geschimpft, habe gebetet, gesungen und geboten. Stets war meine verzweifelte Frage: ‚Jesus, wo bist du?‘. Er hat uns doch versprochen, alle Tage bei uns zu sein. Auf ihn wollte ich sehen. Und wenn Jesus sogar in mir ist, dann leidet er doch mit mir. Auch wenn die Situation mit diesem geistlichen Wissen nicht einfacher wurde, so ist mir das Suchen nach Jesus immer wieder zum Trost geworden.
Ich erlebe auch nicht, dass Gott in der Haltung ‚richtig‘ oder ‚falsch‘ auf mich reagiert und noch weniger, dass er durch Strafe auf den richtigen Weg bringen will.
Jesus sagt uns, dass wir zu Gott Vater sagen dürfen. Ein Vater erzieht nicht mit Strafen, weil das nur zur Rebellion oder Anpassung führt. Gott gibt uns in dem, was wir das Gesetz Mose nenne, väterliche Lebensanweisungen, die uns gut tun, wenn wir sie befolgen. Er will, dass wir uns auf seine Liebe einlassen.
Paulus weist uns in seinem Brief an die Korinther (1Kor 4,15) darauf hin, dass wir in Christus keine Zuchtmeister brauchen sondern Väter. Gott, der Vater, hat Sehnsucht danach, dass wir aus Liebe auf ihn hören, denn Horchen ist die Voraussetzung zum Gehorchen. Die Schwierigkeiten in unserm Leben können uns im Vertrauen trainieren.
Jeder will gerne ein Wunder erleben, aber keiner wünscht sich eine Situation, in der er ein Wunder wirklich braucht. Dieser Satz eines guten Freundes beschäftigte mich immer wieder. Mit der Krebsdiagnose waren wir ganz klar in einer solchen Situation. Bei meinen Gebeten und im Lobpreis habe ich Gott um ein großes Heilungswunder angefleht. Dabei hatte ich die Vorstellung, dass er Hans` Krankheit von einem Moment zum nächsten einfach wegnimmt, weil er das ja kann und er es gut mit uns meint. Obwohl mein Vertrauen in ihn, dass er heilt und wieder herstellt von Beginn an da war, habe ich ihn mit meiner Vorstellung davon, wie er das macht, begrenzt. Aber Gott hat mich überrascht: Statt des einen von mir erwarteten, ‚großen‘ Heilungswunders, hat er uns im Verlauf des Heilungsprozesses mit einer großen Fülle von Wundern beschenkt. Neben all den Wundern, von denen wir heute schon gesprochen haben, gibt es noch viele weitere, für die wir Gott so dankbar sind: Bei einer Vorsorgeuntersuchung Ende 2019 hat Hans zum ersten Mal den für die Gesundheit der Prostata markanten PSA-Wert bestimmen lassen. Das hat dazu geführt, dass die Behandlung möglich wurde, bevor der Krebs gestreut hatte. Da Hans die ganze Zeit frei von Beschwerden und richtig fit war – auch ein Geschenk! – ist das rechtzeitige Aufdecken des Krebses aus unserer Sicht ein ganz besonderes Wunder. Sehr glücklich sind wir auch über das Wunder, dass keine Hormonbehandlung notwendig geworden ist. Eines der besonders überraschenden Wunder ist, dass der als Krebsindikator angesehenen PSA-Wertes durch die OP ‚förmlich in sich zusammengebrochen ist’, wie es einer der behandelnden Ärzte in der Reha völlig erstaunt formuliert hat. Auch dass die lange Strahlentherapie nach Aussage der Ärzte optimal verlaufen ist und Hans komplett nebenwirkungsfrei geblieben ist, macht uns total dankbar und wir preisen unseren Gott voll Freude.
Ich kann es nicht in Worte fassen, wie froh und dankbar ich für all diese Wunder bin. Auch als Verein haben wir ein Wunder erlebt. Wegen Corona war es uns nicht mehr möglich, unsere Seminare durchzuführen, ebenso die Live-Beratung. Dadurch brachen für den Verein wesentliche Einnahmen weg. Und dann konnte ich wegen der OP auch Online-Beratungen nicht mehr anbieten. Doch bevor der Verein in eine finanzielle Krise kam, erhielten wir die höchste Spende der Vereinsgeschichte. Heute können wir sehen, dass Gott im Voraus dafür gesorgt hat, dass wir während der gesamten Zeit, in der die Arbeit nicht im üblichen Rahmen durchgeführt werden konnte, keinen Mangel litten.
Rückblickend kann ich heute sagen, dass die Krisenzeit herausfordernd und total anstrengend war. Ich habe sie oft erlebt als ein Aushalten müssen, kann allerdings aus heutiger Perspektive sehen, dass diese Phase – mit Gottes Hilfe – für mich aushaltbar war. Das war für mich zu Beginn nicht klar. Neben all dem Schweren hat Gott mich in dieser Krise reich beschenkt: Unsere Ehebeziehung ist – trotz der langen Zeit der räumlichen Trennung – spürbar ‚näher‘ und intensiver geworden. Damit hatte ich überhaupt nicht gerechnet. Auch Beziehungen zu Menschen, die mit mir / mit uns durch die Krise gegangen sind, bekamen eine neue, intensive Qualität. Das alles erlebe ich als großen Segen.
Eine wichtige Erfahrung, für die ich besonders dankbar bin, ist, dass ich zu Jesus wirklich so kommen kann wie ich bin, mit all meiner Not, meiner Wut und meinem Frust und schließlich natürlich auch mit Erleichterung, Begeisterung und Freude. Ich muss keinerlei (fromme) Voraussetzungen erfüllen, bei ihm muss ich nichts leisten. Besonders deutlich wird das für mich rückschauend darin, dass ich Loblieder und Psalmen heute mit neuem Verständnis aus vollem Herzen singen kann. Gott hat sie für mich mit neuem Leben gefüllt.
Meine Erkrankung hat mir sehr deutlich vor Augen geführt, dass mein Leben begrenzt ist. Das hat mich für mein bisheriges Leben neu dankbar gemacht.
In mir ist auch eine Sehnsucht entstanden, dass die Menschen, mit denen ich in der Beratung arbeite, sich viel schneller darauf einlassen können, dass ihre Lebensprobleme mehr Chance als Gefahr sind, wenn sie Gott vertrauen. – Ich hoffe, dass ich da für niemand bedrängend werde.
Unserer Ehebeziehung wurde in den zurückliegenden Monaten deutlich intensiver. In unseren Nöten haben wir uns gegenseitig besser kennen gelernt und auch erfahren, dass wir uns wirklich aufeinander verlassen können. So habe ich das auch schon in der Krankheitszeit meiner ersten Frau erlebt. Und jetzt entdecke ich, dass ich mich da trotzdem noch weiter entwickeln kann.
Auch meine anderen Beziehungen haben für mich an Bedeutung gewonnen und es macht mich traurig, dass ich das wegen Corona nur reduziert leben kann.
In allen Gesprächen, in denen es um die Frage ging, wo in meiner Krankheit Gott ist, hatte ich das Empfinden, dass er wissen will, ob ich ihm trotz allem vertraue, ihn liebe. Ich hoffe, dass ich mir da nicht fromm etwas vormache, wenn ich sage, dass mein Vertrauen zu ihm belastbarer geworden ist. Es ist mein tiefer Wunsch, dass Gott durch diese Zeit verherrlicht wird, so wie es ein Gebetseindruck gleich nach der Diagnose sagte.
Jede Krise verunsichert uns, ermöglicht uns gleichzeitig, über unser Leben nachzudenken und fordert uns auch zu Entscheidungen heraus. Wir entscheiden, ob wir die Herausforderung mit den damit verbundenen Anstrengungen annehmen oder ob wir resignieren und in der Rolle des hilflosen Opfers landen. Die Krise deckt unseren Selbstwert auf und zeigt, wie weit wir dem glauben, wie Gott uns sieht.
Gott hat uns nach seinem Bild geschaffen und erklärt, dass seine Schöpfung sehr gut ist. (1Mo 1,27+31) Gott liebt uns so sehr, dass er seinen Sohn gesandt hat, damit wir das ewige Leben haben. (Joh 3,16) Nach Gottes Meinung sind wir also beziehungsfähig, sehr gut, geliebt, erlöst und für das ewige Leben bestimmt und nicht in irgend einer Weise minderwertig.
Die Krise hat das Potential, dass wir mehr und mehr die Menschen werden, die Gott bei der Schöpfung gemeint hat. Gott will Wiederherstellung und das bedeutet für uns Reifung unserer Persönlichkeit.
Die Krise hat das Potential, dass unsere Beziehung zu Gott stabiler wird und wir, wie Hiob, rückblickend sagen können: Bisher kannte ich dich nur vom Hörensagen, doch jetzt habe ich dich mit eigenen Augen gesehen. (Hi 42,5)
Wir haben erfahren, dass es Gott gut mit uns meint, mitten in der Not.
Jesus sagt: Ich bin gekommen, damit sie das Leben haben und volle Genüge. (Joh 10,10)