Dankbarkeit

Paulus schreibt der Gemeinde in Ephesus: ‚Dankt Gott, dem Vater, immer und für alles, im Namen unseres Herrn Jesus Christus.‘ (Eph 5,20). Ich muss gestehen, dass ich das im Blick auf den Tod meiner ersten Frau auch heute noch nicht schaffe. Da kann ich nur wie Hiob sagen: Der Herr hat’s gegeben, der Herr hat’s genommen; der Name des Herrn sei gelobt. (Hi 1,21).

Dankbar kann ich sein,

  • dass ich in den letzten Monaten ihrer Krankheit die Gegenwart der Liebe Gottes so stark erlebt habe, wie noch nie.
  • für die Menschen, die mich in dieser Zeit begleitet haben.
  • für alles, was inzwischen neu geworden ist.
  • dass ich durch diese Prozess viel einfühlsamer geworden bin.

Eigentlich wissen wir es: Glück macht nicht dankbar. Dankbarkeit macht glücklich.

Dankbarkeit empfinden wir, wenn wir daran denken, wer und was uns gut getan hat. Danke sagen ist mehr als ein Wort, mehr als eine Höflichkeit. Dankbarkeit ist eine Beziehungsangelegenheit und die Antwort auf die Tatsache, dass ich beschenkt worden bin.

Wenn wir bewusst an Menschen oder Situationen denken, die uns gut getan haben, können wir das auch später noch in unserem Körper spüren. Die Beschäftigung mit den schönen und guten Erfahrungen bewirkt, dass angenehme Gefühle in unserem Gehirn aktiviert werden, die zur Ausschüttung der Glückshormone führen. Dankbarkeit trägt wesentlich zu unserem Wohlbefinden und unserer Gesundheit bei – das ist sogar wissenschaftlich belegt.

Unsere Laune wird durch Dankbarkeit verbessert, weil unser Gehirn nicht gleichzeitig Wut und Freude erleben kann. Somit ist sie ein effektives Gegenmittel für alle Gefühle wie Ärger, Neid, Feindseligkeit, Groll und Sorge.

Schlafen wir mit Dankbarkeit und ohne solche Gefühle ein, wird unser Schlaf erholsamer. Die Empfehlung, dass wir die Sonne nicht über unserem Zorn untergehen lassen sollen (Eph 4,26), verhilft uns zu einem gesunden Schlaf und einem guten Lebensgefühl.

Wenn wir uns mit dem beschäftigen, was in unserem Leben gut ist und was wir Gutes tun können, erleben wir uns in guten Beziehungen. So können wir bewusst wahrnehmen, dass wir liebenswert sind und lieben können. Damit stärkt Dankbarkeit unser Selbstvertrauen und verschafft uns Sicherheit in den Begegnungen mit anderen.

Ärger, Neid, Sorgen und Groll führen zur Ausschüttung von Stresshormonen. Das Stresshormon Cortisol reduziert die Beweglichkeit unseres Gehirns, erhöht den Blutdruck und schwächt unser Immunsystem. Dankbarkeit dagegen senkt den Blutdruck und schützt so unser Herz. Ein dankbares Herz ist ein gesünderes Herz.

Wer dankbar ist, verhält sich hilfsbereiter und ist einfühlsamer. Das wiederum stärkt seine sozialen Beziehungen.

Wenn Paulus den Kolossern schreibt: ‚Lasst das Wort Christi reichlich unter euch wohnen: Lehrt und ermahnt einander in aller Weisheit; mit Psalmen, Lobgesängen und geistlichen Liedern und singt Gott dankbar in euren Herzen.‘ (Kol 3,16), macht er einen umfassenden Vorschlag für unser Wohlbefinden und gute Beziehungen.

Robert Emmons, der Dankbarkeit wissenschaftlich erforscht, sagt: Dankbarkeit ist das Gefühl des Staunens, des Dankbar-Seins und der Feier des Lebens.

Wann habe ich zum letzten Mal gestaunt?

Ohne Dankbarkeit entwickeln wir eine Sicht von unserem Leben, die von Mängeln und Enttäuschungen geprägt ist. Wir sehen immer nur das, was fehlt, was schwierig, schlecht, gefährlich und nicht gelungen ist. Nehmen wir uns und unsere Umwelt so wahr, werden wir zwangsläufig unzufrieden, neidisch und unglücklich. Ein dankbarer Mensch sieht trotz der Schwierigkeiten und Enttäuschungen auch das Schöne in seinem Leben.

In der Umarmung der Dankbarkeit schmelzen Zorn und Missgunst, Angst und Verteidigung schrumpfen, meint der Professor für Psychiatrie, Roger Walsh.

Wenn Kinder nicht zur Dankbarkeit angeleitet werden, lernen sie weder zur Gabe, noch zum Geber einen wertschätzenden Bezug herzustellen. Es geht nicht so sehr um das Wort ‚Danke‘, sondern immer um die innere Haltung.

Die amerikanische Familientherapeutin Wendy Mogel empfiehlt den Eltern von Mittelstandskindern eine Dankbarkeitserziehung. Den Kindern, die in ihre Praxis kommen, diagnostiziert sie eine kindliche Sucht nach immer Neuem, weil sie nicht gelernt haben, dankbar zu sein. Nur durch Dankbarkeit würden Kinder lernen, ihre Wünsche auszuhalten und einen Sinn für die kleinen Freuden zu bekommen.

Eingefordert kann Dankbarkeit nicht werden. Eine solche Forderung löst Schuldgefühle aus und kann sogar zynisch sein. Dagegen wird der Bitterkeit in unserem Herzen durch Dankbarkeit der Einlass verwehrt.

Das Lied ‚Danke für diesen guten Morgen‘ von Martin Schneider war der erste christliche Hit, der 1963 sechs Wochen in den Charts der deutschen Hitparade stand. Jede der 18 Zeilen dieses Liedes nennt einen Grund zum Danken.

Auch die Geschichte eines Grafen, der sehr alt wurde, kann uns helfen, Dankbarkeit wieder zu lernen:

Immer, bevor er sein Haus verließ, steckte er sich eine Hand voll Bohnen in seine rechte Jackentasche.

Er tat dies nicht, um ab und zu etwas zum Kauen zu haben. Nein, er steckte sie ein, um die schönen Momente des Tages bewusster wahrzunehmen, auch all die positiven Kleinigkeiten, die er erlebte. Für alles, was seine Sinne erfreute, ließ er eine Bohne wandern. Das Lachen eines Kindes, ein köstliches Essen, ein schattiger Platz in der Mittagshitze, ein nettes Gespräch, eine schöne Blume, der besondere Duft nach einem Regenschauer – immer wanderte eine Bohne von der rechten in die linke Jackentasche.

Vor dem Schlafen zählte er die Bohnen in der linken Tasche und führte sich all die schönen Momente das Tages, die Gott ihm geschenkt hatte, nochmals vor Augen und dankte Gott dafür.

Und wenn er einmal nur eine Bohne in der linken Tasche hatte, dankte er Gott dafür, dass diese eine Situation Grund genug war, Gott zu danken.

Von Charles Spurgeon, dem englischen Prediger, wird erzählt:

Er hält eine Freiversammlung. Anschließend lässt er seinen Hut herumgehen. Doch diesmal legt niemand etwas hinein. Man hat sich vorher abgesprochen, ihm einen Streich zu spielen. Die Zuhörer sind gespannt, wie er das übliche Dankgebet formuliert. Er ist verdutzt, als er in seinen Hut schaut und betet laut: ‚Ich danke dir, dass mir diese geizige Bande wenigstens meinen Hut zurückgegeben hat!‘ – Sehe ich das, wofür ich danken kann?

Martin Luther meint: Wenn wir glauben, dass Gott unser Schöpfer ist und er alles erschaffen hat, dann ist Dankbarkeit das zentrale Thema in unserer Gottesbeziehung.

Rabbi Jehuda formuliert das viel schärfer: ‚Wer von den Gütern dieser Welt etwas ohne Segensspruch genießt, ist anzusehen wie einer, der himmlische Heiligtümer zu irdischen Zwecken missbraucht.‘ Wir erhalten also erst durch ein Dank- oder Segensgebet das Recht, die Güter dieser Erde zu nutzen. Sie einfach so zu gebrauchen ist betrügerisch.

Das muss auch auf den zwischenmenschlichen Bereich übertragen werden. Wer selbstverständlich etwas nimmt, ohne dem Geber zu danken, geht mit ihm so um, als wäre er nicht existent. So gehen wir in einer beziehungslosen Leistungsgesellschaft oft miteinander um. Eine Nichtbeachtung ist eine Todeserklärung – Gib mir, Vater, das Erbteil, das mir zusteht. (Lk 15,12)

Durch Dankbarkeit drücken wir Wertschätzung, Achtung und Ehre gegenüber dem aus, von dem wir etwas bekommen haben.

Paulus sagt den Kolossern: ‚Werdet nicht müde, Gott zu danken.‘ (Kol 4,2). Doch unser Reden mit Gott ist vorwiegend von Bitten bestimmt. Paulus und Timotheus empfehlen der Gemeinde in Philippi, dass sie mit Danken Gott bitten  sollen (Phil 4,6). Wenn wir unsere Anliegen mit einem Dank an Gott bringen, wird auf jeden Fall unsere Sicht verändert. Nicht mehr die Not steht im Vordergrund, sondern die Liebe und Güte Gottes.

Je stärker die Dankbarkeit gegenüber Gott ist, desto weniger wirken meine Umstände auf mich ein.

Dankbarkeit entsteht in Beziehungen, in denen wir etwas bekommen. Wenn wir davon weiter geben, erhält uns Dankbarkeit lebendig.

Schreiben Sie doch mal einen Dankbrief an all die Menschen, die Sie gefördert, unterstützt und herausgefordert haben und lassen Sie sich überraschen, was das in Ihnen bewirkt. Hans Wiedenma